Magazin: CD-Kritiken
Nur über uns die Linde rauscht

Nur über uns die Linde rauscht: Georg Poplutz, Rudolf Lutz
Romantik von der Sprache her
Georg Poplutz und Rudolf Lutz mit einer frisch-romantischen Platte: Keine rückwärtsgewandte Gefühligkeit ist zu erleben, sondern die offene Dringlichkeit der Eichendorffschen Texte, die so viele potente Komponistenstimmen offenkundig inspiriert haben.
Dem Publikum und einander sind der Tenor Georg Poplutz und der Ensembleleiter und Tasteninstrumentalist Rudolf Lutz aus ihrer Zusammenarbeit im Reich der Alten Musik vertraut. Dass sie auch andere Leidenschaften pflegen, zeigen sie jetzt mit ihrem bei Spektral erschienenen Album ‚Nur über uns die Linde rauscht‘, das Lieder verschiedenster Komponisten auf Poesie von Joseph von Eichendorff zu einem Programm fügt. Zwei größere Kerne gibt es darin – einmal den Liederkreis op. 39 von Robert Schumann und dann die zyklisch angelegten Sieben Lieder von Rudolf Lutz selbst, dazu weitere Arbeiten des auch kompositorisch begabten Begleiters. Hier finden sich ausdrucksstarke Gesten, im Klaviersatz wie in den Vokallinien, auch erstaunlich groß angelegte Entfaltungen. Ästhetisch scheint Lutz‘ Musik an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu siedeln, in einer eigenen, Härten nicht scheuenden Romantik, die ihrem kompositorischen Umfeld im Rahmen des Programms nicht in eklektischer Affirmation nachfolgt, sondern deren Eichendorff-Welt eigenständig fortspinnt.
Ergänzt werden diese beiden Gravitationszentren durch einzelne oder zu kleinen Gruppen gesetzte Lieder von Robert Schumann, Hugo Wolf, Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Franz, Friedrich Theodor Fröhlich und Friedrich Kiel. Letzterer zeigt sich mit zwei Liedern aus seinem Liederkreis op. 31 expressiv-bewegt, fast dramatisch zugespitzt, bezaubert sodann aber auch mit lyrischer Verfeinerung – durchaus ein eigenständiger Akzent im Reigen der Lieder oft weit prominenterer Hände.
‚Lieder-Erzähler‘
Georg Poplutz ist bekannt und vertraut als exzellenter Interpret von Bach, Schütz und insgesamt älterer Musik, hat da an maßstäblichen Einspielungen gewichten Anteil gehabt – als Beispiel sei die bei Carus erschienene Schütz-Gesamteinspielung mit Hans-Christoph Rademann genannt. Doch auch hier, in der poetisch inspirierten, sprachaffinen Romantik fühlt er sich hörbar wohl, entfalten sich seine Qualitäten deutlich: Natürlichste Diktion und maximale Textverständlichkeit bestimmen auch hier im positiven Sinne die Szenerie; niemand benötigt die – im Booklet zweisprachig abgedruckten – Texte, um dem dichterischen und musikalischen Gang folgen zu können. Getragen ist diese alles überragende Qualität von einer zwischen den Lagen ausgeglichenen Stimme von schlanker Statur und ebenmäßiger Entfaltung. Poplutz avanciert mit dieser Mischung zu so etwas wie einem ‚Lieder-Erzähler‘ par excellence, zeigt sich gerade in Schumanns Liederkreis auch zyklisch stark, in einer alles bindenden erzählenden Geste im plausiblen Ton schlichter Kunstfertigkeit. Viele der einzelnen Lieder gewinnen durch eindringlich gestaltete fahle Momente besondere Kontur. Poplutz‘ klangschöne vokale Ausdruckskraft mündet in einer Intonation ohne Trübungen; artikulatorisch lebt alles mit und von der Sprache: Diktion und Sinn des gesamten musikalischen Geflechts entfalten sich von dort aus.
Rudolf Lutz nutzt die Möglichkeiten seines warm timbrierten Bösendorfer-Flügels zu körperreichem Spiel, das auch in dynamischer Steigerung nichts von seiner Noblesse verliert – ein Sänger-Pianist, der sich, obwohl seinen Partien auch technisch nichts schuldig bleibend, an die Vokalstimme anschmiegt, in behutsam-hintersinniger Präsenz. Lutz nutzt aber auch Freiheiten – etwa in den Nachspielen bei Schumann oder Wolf – zur kommentierenden Deutung. Fein dosierte Rubati interessieren für die musikalische Entwicklung auch im Detail.
Das Klangbild wirkt klar und aufgeräumt, ist schön gestuft; in dynamischer Avance gerät die Balance zuungunsten der Vokalstimme ins Rutschen. Im ausführlichen Booklettext der Schweizer Autorin Elisabeth Binder wird Joseph von Eichendorff als einer der meistvertonten Dichter der Epoche vorgestellt – eher an poetologischen Aspekten interessiert als an solchen, die im engeren Sinne musikalisch sind; über die Kompositionen selbst ist kein Wort zu finden. Allenfalls auf die der Sprache Eichendorffs inhärente Musikalität Eichendorffs wird eingegangen.
Georg Poplutz und Rudolf Lutz mit einer frisch-romantischen Platte: Keine rückwärtsgewandte Gefühligkeit ist zu erleben, sondern die offene Dringlichkeit der Eichendorffschen Texte, die so viele potente Komponistenstimmen offenkundig inspiriert haben.
Dr. Matthias Lange, 07.07.2023
Interpretation:
Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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