Magazin: CD-Kritiken
A Golden Cello Decade

Details zu A Golden Cello Decade: Steven Isserlis, Connie Shih

A Golden Cello Decade: Steven Isserlis, Connie Shih

Ein goldenes Jahrzehnt?

Steven Isserlis und Connie Shih setzen ihre Entdeckungs-Reise durch das Repertoire für Cello und Klavier fort ? diesmal mit Werken aus den 1880er Jahren.

Der Cellist Steven Isserlis und seine Klavierbegleiterin Connie Shih lieben anspielungsreiche CD-Titel. Im Jahr 2021 veröffentlichten sie 'Music from Proust´s Salons', eine Zusammenstellung französischer Werke für Cello und Klavier, wie sie in den Pariser Salons zur Zeit des Dichters Marcel Proust erklangen. Nun folgt 'A Golden Cello Decade', eine CD mit Sonaten von Richard Strauss und Luise Adolpha Le Beau, die neben zwei Fassungen des berühmten 'Kol Nidrei' (von Max Bruch und Ernst David Wagner) stehen. Isserlis verortet dieses 'goldene Jahrzehnt' für sein Instrument zwischen den Jahren 1878 und 1888, als die hier versammelten Werke entstanden.

Aber auch stilistisch hat die Kompilation ihre Berechtigung, denn sowohl die Strauss-Sonate als auch das Werk von Le Beau zeigen deutliche Einflüsse von Johannes Brahms – und machen damit klar, wie wirkungsmächtig der Komponist in den 1880er Jahren war. Ergänzt wird das Recital durch ein Arrangement von Isserlis: 'Oh! Weep for those' aus Byron´s 'Hebräischen Melodien', ursprünglich von Isaac Nathan gesetzt, hat der Cellist für sein Instrument und Klavier eingerichtet. Schließlich soll nicht vergessen werden, dass Isserlis und Shih in Bruchs Version von 'Kol Nidrei' noch die Harfenistin Oliva Jageurs an ihrer Seite haben.

Glutvoller Ton

Jenes 'Kol Nidrei', nach dem sehr populären ersten Violinkonzert wohl das zweitbekannteste Werk von Bruch, ist vor allem in der Fassung für Cello und Orchester weit verbreitet. Ganz so klangprächtig wie die Orchesterfassung ist diese Version nicht, doch sie hat durchaus ihren Reiz, wie Isserlis und Shih hier demonstrieren. Das liegt vor allem am glutvollen, sehr differenzierten Ton des Cellisten; doch auch die hinzutretende Harfe gibt dem Stück einen speziellen Reiz. Bruchs Komposition hinterlässt so einen dezenten, geheimnisvollen und sehr lyrischen Eindruck. Der Kontrast zum wilden Auftrumpfen der Strauss-Sonate könnte kaum größer sein: Die Musiker nehmen insbesondere die Vortragsbezeichnung des Kopfsatzes ('Allegro con brio') beim Wort und gehen das gesamte Werk mit einer Risikofreude an, die fast ein wenig übertrieben wirkt. Shih trumpft hier teilweise pianistisch derart auf, dass Isserlis seine liebe Mühe hat, überhaupt noch hörbar zu bleiben. Es ist schwer zu entscheiden, ob das am Temperament der Pianistin oder an einer nicht optimalen Klangtechnik liegt.

Dieses Balance-Problem gibt es in der Sonate von Le Beau dann nicht mehr. Das harmonisch wie rhythmisch fein gestaltete Stück zählt zudem eine hohe Kompaktheit zu seinen Vorzügen; niemals erlag die Komponistin hier den Versuchungen der Redseligkeit, was dem (jungen) Richard Strauss in seinem op. 6 doch hin und wieder passierte. In einer vorzüglichen und straffen Interpretation präsentieren Isserlis und Shih die Le Beau-Sonate als echte Bereicherung des Repertoires, die mehr als nur eine Chance im Konzertsaal verdient hat. Das beachtliche Gesamtwerk der Tondichterin ist erst ganz vereinzelt auf CD verfügbar, insofern leisten Isserlis und Shih hier einen wichtigen Beitrag zu einer fälligen (Wieder-)Entdeckung.

Ernst David Wagner, der mit dem vielfach berühmteren Richard nicht nur den Namen, sondern auch das Todesjahr 1883 teilt, ist der Komponist einer 'Kol Nidrei'-Fassung, die deutlich blasser als diejenige Bruchs wirkt. Schön anzuhören ist das in Isserlis´ Deutung allemal, aber eben auch nicht mehr. Shih muss sich hier als reine Begleiterin regelrecht unterordnen. Bleibt noch Isserlis´ eigene Version von 'Oh! Weep for those', die ähnlichen Zugaben-Charakter wie das Wagner-Kol-Nidrei hat. Eher ein Füllstück als eine schlüssige Ergänzung – aber erstklassig gespielt, das ist unstrittig. Doch die beiden Höhepunkte der CD sind auf jeden Fall: Die wuchtige, strahlende Strauss-Sonate – ein toller Beitrag für alle Hörer, die Musiker mit Mut zum Risiko lieben. Und die mindestens ebenbürtige, fein strukturierte Le Beau-Sonate, die jedem Freund romantischer (Cello-)Musik ans Herz gelegt sei. Es gibt, und das ist die eigentlich frohe Botschaft dieser CD, immer noch eine Menge zu entdecken im kammermusikalischen Repertoire.

 


Dr. Michael Loos, 26.04.2023

Label: Hyperion
Interpretation: 
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