Magazin: CD-Kritiken
Backhaus Early Recordings

Details zu Backhaus Early Recordings: Wilhelm Backhaus, Klavier

Backhaus Early Recordings: Wilhelm Backhaus, Klavier

Zeitlose Klavierkunst

Wilhelm Backhaus spielt Beethoven und Brahms in Aufnahmen von 1927?1939,

Die vorliegende CD-Box mit historischen Aufnahmen des Pianisten Wilhelm Backhaus, die das Label Hänssler vorgelegt hat, ist so interessant wie problematisch: interessant vor allem deshalb, weil man sich über die hier versammelten Beethoven- und Brahms-Einspielungen aus den Jahren 1927 bis 1939 einen profunden Eindruck vom Klavierspiel Backhaus’ machen kann – problematisch, da es beim Hören häufig schwerfällt, die historische Größe und Bedeutung dieses Pianisten aus gegenwärtiger Perspektive einer Bewertung zu unterziehen.

Interpretationsgeschichtlich bilden die Aufnahmen fraglos ein beeindruckendes Panorama über jenes Kernrepertoire, mit dem Backhaus in den 1920er und 30er international reüssierte. Stilistisch betrachtet, ist jedoch in der Zwischenzeit ungemein viel in Sachen klavieristischer Beethoven- und Brahms-Exegese passiert, die man beim Anhören der CDs nur unschwer ausblenden kann. Fraglos faszinieren Backhaus’ Zugriffe auf die großen Werke der beiden deutschen Meister auch heute noch in ihrer durchweg charaktervollen Art – die technische Souveränität und stilistische Sicherheit des Backhausschen Zugriffs lassen bedeutende interpretatorische Momente wiederentstehen, denen man sich nur schwer entziehen kann. Häufiger jedoch schlägt dieses allzu Souveräne in eine Art mechanische bzw. oberflächliche Abarbeitung der Stücke um. Hier erinnert man sich unweigerlich an die Beschreibung von Backhaus als einem „tönenden Metronom“, die kein Geringerer als Béla Bartók bereits im Jahr 1905 fand. Immer da, wo inhaltliche Werkgröße und technische Ansprüche besondere Herausforderungen an den Interpreten stellen (z. B. in den Brahms-Klavierkonzerten oder Beethovens op. 111), bietet Backhaus einen beeindruckenden Verstehenszugang. Manche kleinere Fantasie oder Variation, in denen Brahms vermeintlich weniger zu sagen hat, wird auch von Backhaus mit Verlusten an Intensität und Konsequenz dargeboten. Doch vorschnelle Urteile dieser Art, das macht die Fülle der Aufnahmen und ihre Vergleichsmöglichkeit schnell deutlich, sind überaus gefährlich. Man höre sich, um nur eines von vielen möglichen Beispielen zu nennen, die fünfte Fantasie aus op. 116 an, um sogleich Lügen gestraft zu werden. Ein gehaltvolleres, empfindsameres Brahms-Spiel kann man sich nur schwer vorstellen. In diesen Momenten manifestiert sich die interpretatorische Größe von Backhaus, der sich immer dann Kategorisierungen zu entziehen scheint, wenn man glaubt, ihn sprachlich erfasst zu haben. (Dies trifft im Übrigen besonders auf den Schubert-Spieler Backhaus zu, der relativ spät erst zu den Impromptus und Moment musicaux im Aufnahmestudio gefunden hat, dann aber eine lyrisch-intime Seite gezeigt hat, die jeden Backhaus-Enthusiasten überraschen musste.)

Am Ende bleibt bei der CD-Sammlung der Gesamteindruck eines gewichtigen historischen Dokuments für Backhaus’ Maßstäbe setzenden Umgang mit seinen Hausgöttern Beethoven und Brahms. Die Aufnahmen bieten eindrückliche Belege dafür, dass man das Heil großer Klavierinterpretationen nicht im beständig Neuen suchen muss, sondern getrost immer wieder auch zum bewährt Vergangenen zurückkehren kann. Erst der Blick zurück, wie in diesem Fall, lässt bewusstwerden, wie zeitlos die Darbietungen eines Wilhelm Backhaus eigentlich sind.


Dr. Kai Marius Schabram, 30.05.2023

Label: Profil - Edition Günter Hänssler
Interpretation: 
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Repertoirewert: 
Booklet: 




Video der Woche:

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