Magazin: CD-Kritiken
Hugo Wolf: Italienisches Liederbuch

Details zu Hugo Wolf: Italienisches Liederbuch: Mirella Hagen, Tobias Berndt, Frank-Immo Zichner

Hugo Wolf: Italienisches Liederbuch: Mirella Hagen, Tobias Berndt, Frank-Immo Zichner

Hugo Wolfs Italienisches Liederbuch neu bei Querstand eingespielt

Mirella Hagen (Sopran), Tobias Berndt (Bariton) und Frank Immo Zichner (Klavier) mit Wolfs spätromantischem Liederzyklus.

„Auch kleine Dinge können uns entzücken…“ Eine Neuaufnahme des Italienischen Liederbuchs von Hugo Wolf für das Label Querstand/ Co-Produktion mit Deutschlandfunk-Kultur mit der Sängerin Mirella Hagen (Sopran) und dem Sänger Tobias Berndt (Bariton) sowie Frank-Immo Zichner am Klavier kniet sich tief in diesen absolut lohnenswerten lyrischen Spätromantik-Mikro-Kosmos hinein. Denkwürdiger Anlass für die Neuproduktion könnte jener bedeutende Liederabend gewesen sein, der sich in diesem Sommer zum 70. Mal jährt: Am 12. August 1953 sang Elisabeth Schwarzkopf - am Klavier begleitet von Wilhelm Furtwängler - ihr bei der EMI unter „References“ dokumentiertes Wolf-Lieder-Album ein. Der Kontrast zur vorliegenden Neuaufnahme könnte nicht deutlicher ausfallen, doch beide Alben lohnen gleichermaßen angehört zu werden! Während die Schwarzkopf auf Emotion total setzt - nicht zuletzt durch die geradezu akrobatischen Verrenkungen ihrer Stimme - und dabei unglaublich wehmütige Färbungen und Schattierungen im Detail erzeugt und eine gewisse Heroik (32. Was soll der Zorn?) walten lässt, beschreiten die Künstler der vorliegenden CD einen klar-strukturierten, nicht minder sensibel ausgeloteten Weg: Das gleiche Lied Nr. 32 singt der Berliner Tobias Berndt fast nüchtern und stringent.

Der Ex-Kruzianer (nicht zu verwechseln mit dem Berliner Organisten Tobias Berndt) singt aktuell mit dem Thomanerchor unter Andreas Reize in der diesjährigen Johannes-Passion von Bach. Seine Album-Partnerin Mirella Hagen war u.a. Ensemblemitglied an den Theatern Regensburg, Dortmund und Braunschweig, bevor sie ihre Karriere freiberuflich fortsetzte, u.a. als Woglinde und Waldvogel beim Bayreuther Castorf-Ring. Ihr Gesang mutet punktuell in der Tat noch etwas präsenter, forscher, dramatischer und eloquenter an als der ihres Kollegen.

Gescheiterte Liebesbeziehung

Das Italienische Liederbuch gliedert sich formal in zwei Teile (Teil I: 22 Nummern und Teil II: 24 Nummern). Insgesamt sind es 46 Lieder, die Hugo Wolf schön paritätisch auf jeweils dreizehn pro Solist aufteilte. Nur sieben davon dauern übrigens länger als zwei Minuten. Wir sprechen also von wirklichen Miniaturen des Genres Lied, die sich mal keck, mal nachdenklich um Liebe, Eifersucht, insbesondere um (missglückte) Brautwerbung aber auch um Zwist, Verachtung, Sehnsucht, um Lebensweisheiten eines wunderlichen Abgesonderten ranken, sowie von Trennung und Tod (zum Beispiel die Nr. 33) handeln, kurz gesagt, von des Komponisten gescheiterter Liebesbeziehung und dem dazu gehörigen Auf und Ab. Unpraktischerweise wurde das Booklet der Ausgabe, welches immerhin alle Liedtexte vollständig zweisprachig deutsch und englisch abdruckt, am Papp-Cover festgeklebt, was die praktische Handhabung (sprich Herausnahme) vereitelt. Nun ja. Klanglich korrespondieren die beiden Protagonisten angenehm miteinander, weil sie die zum Teil gar beißende Ironie der Werke humorvoll in Szene setzen und sich die Bälle zuspielen.

Zum Inhalt der Texte, die 1860 von Literaturnobelpreisträger Paul Heyse (aus umfangreichen italienischen Volksliedsammlungen - bis auf sechs Gedichte handelt es sich ausnahmslos um toskanische Rispetti=Respekt) übersetzt und herausgegeben wurden, ist anzumerken: Der Österreicher hatte dieses ‚Italienische Liederbuch‘ nicht ohne kritische Selbstreflexion zur Vertonung ausgewählt. Er hatte kapiert, dass er lediglich als gesellschaftlich nicht anerkannter „Liedkomponist“ und nahezu mittelloser, bissiger Kritiker (vor allem gegen Brahms und Bruckner) abgestempelt war und sich ihm, als gesellschaftlichem „Underdog“, wenig Karriere-Chancen eröffneten. Der ewige Autodidakt und Schulabbrecher brachte es in punkto Status nämlich nicht hinaus über den kurzzeitigen Hilfskapellmeister am Salzburger Stadttheater. Seiner mit 18 Jahren erlittenen Syphilis-Infektion folgten später Selbstmordversuche, die am Lebensende - und er wurde lediglich 43 Jahre alt! - in der Irrenanstalt endeten. Die Komposition am Italienischen Liederbuch zog sich auch entsprechend hin von September 1890 bis Dezember 1891. Dann - nach einer dreijährigen Pause - schrieb er noch einmal im März/April 1896 die 24 Lieder des zweiten Teils nieder, wie er seiner (geheimen) Geliebten Melanie Köchert mitteilt.

Tragische Inszenierung

Hier in dieser neuen CD erlebt der Hörer eine ganz besonders tragische Inszenierung einer gescheiterten Liebe vom Anfang bis zu Ende. Mirella Hagen verkörpert den weiblichen Part mal mit farbig-spitzer, nur gelegentlich enger, aber immer klarer Diktion schon gleich zu Beginn im wichtigen Einstiegslied „Auch kleine Dinge“. Auf jeden Fall trifft sie ästhetisch die Wolf gemäße Tonsprache, wenngleich sie gelegentlich noch deutlicher in der Aussprache agieren dürfte. Die lichte Höhe hat sie, kann auch freche Fragen intonieren (Nr. 6: „Wer rief dich denn?“) oder ein liebliches Legato formen (Nr. 8). Besonders schön gelingt ihr das Lied Nr. 11, bei dem der angebetete Musikus (wie Wolf) die Violine spielt - was unverkennbar in die Musik hineingeflochten ist. Die Sopranistin kann auch vor Heiterkeit sprühen (Nr. 12) oder die um ihren Liebsten besorgte Soldatenbraut (Nr. 16) mimen. Im zweiten Teil stechen insbesondere die vier aufeinanderfolgenden, besonders intimen Lieder Nr. 38-41 hervor, denen Hagen ihre ganze Passion widmet um dort geradezu über sich hinaus zu wachsen. Die Sehnsucht nach dem Geliebten beschwört sie - wagnerisch in Dur in der Nr. 39 oder in tristem Moll „O wär‘ dein Haus durchsichtig wie Glas“ (Nr. 40) eindringlich. Ihre Stimme verschmilzt in der Nr. 41 wundervoll mit dem Klang des perfekt intonierten Konzertflügels.

Tobias Berndt verfügt über einen samtigen, lichtdurchfluteten Bariton. Klar ist seine Aussprache und er hat ausreichend Volumen, um Räume zu füllen. In der Höhe könnte er noch etwas weiter, offener werden. Intonation ist für ihn nur selten ein Problem, wenn er den Ton mal nicht ganz exakt trifft. Den schwarzen Humor in „Hoffärtig seid ihr, schönes Kind“ kann er genauso passend einfangen, wie die perfiden Machenschaften des „falschen Mönchs“. Faszinierend ist seine Wandelbarkeit in der Nr. 17. Lieblich erklingen die süßen Friedensgesänge der Nr. 19. Seine heitere, kesse Seite entblättert Berndt im „Ständchen“ (22), ehe der zweite Teil mit an Tristan gemahnenden Sequenzen am Klavier eingeleitet wird und der Sänger sich als Troubadour (Nr. 27) profilieren kann und das lyrische Ich mangelndes Selbstwertgefühl in der Nr. 29 plagen. Nachdenkliches (Nr. 30-32) liegt ihm genauso, wie die plastisch-sensible Erhebung des Grabes im Lied „Sterb‘ ich“. Tröstlich-religiös erscheint sein Gesang im „Und steht ihr früh am Morgen auf vom Bette“.

Auffallend professionell und leidenschaftlich - nicht nur in den zahlreichen Vor- beziehungsweise Nachspielen wie z.B. der Nr. 18 -, dazu sublim in Anschlag, Dynamik und agogischen Nuancen, gestaltet sich die Ausführung des Klavierparts durch Pianist Frank-Immo Zichner. Der gebürtige Görlitzer kann Klänge ziehen, wartet ab, wenn die Situation es erfordert, zeichnet Bögen, und ist in seiner Grifftechnik und Schnelligkeit der Finger absolut integer. Der 60-jährige ist Klavierdozent an der UdK Berlin und ein äußerst gefragter Kammermusikpartner, auch von Mitgliedern der Berliner Philharmoniker. Sein Klavierspiel ist in allen Belangen perfekt und dazu unaufdringlich, was ihn als vorteilhaft-bescheidenen Liedbegleiter ausweist. Er wirkte bislang an nahezu zwei Dutzend - teils preisgekrönten - CD-Produktionen mit. Ist das nicht Expertise genug? Sie sollten sich diese feine kammermusikalische Platte nicht entgehen lassen.


Manuel Stangorra, 15.05.2023

Label: Querstand
Interpretation: 
Klangqualität: 
Repertoirewert: 
Booklet: 




Video der Woche:

Rubinstein spielt Chopin - Etude As-dur op.25 Nr 1

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