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Schumann: Novelletten, Soirées Musicales, Gesänge der Frühe

Details zu Schumann: Novelletten, Soirées Musicales, Gesänge der Frühe: Martin Helmchen, Klavier

Schumann: Novelletten, Soirées Musicales, Gesänge der Frühe: Martin Helmchen, Klavier

Seele getroffen

Werke von Clara und Robert Schumann auf historischem Bechstein (1860) eingespielt - Pianist Martin Helmchen zeigt sensationelle Klavierkunst.

Seit dem Tod von Lars Vogt 2022 ist der Thron unter den deutschen Pianisten verwaist. Doch es gibt ermutigende Signale: Ein lange Zeit im Schatten blühender Nachwuchspianist schickt sich derzeit an, den ersten Rang unter den deutschen Tastengrößen zu erobern: Martin Helmchen (*1982 in Berlin) ist derzeit gefragt wie nie; er spielt in diesem Herbst unter anderem Konzerte in Stavanger, Stockholm, Salzburg, Brügge, Antwerpen, München, Lugano, Luxemburg, Amsterdam, Monte Carlo bis hinüber nach Tokio. Zu hören ist von ihm nicht nur feine Kammermusik gemeinsam mit so bedeutenden Musikern wie Frank-Peter Zimmermann (Violine) oder mit seiner Frau, der Cellistin Marie-Elisabeth Hecker; regelmäßig tritt der unaufgeregte Star auch als Solist mit vielen renommierten Orchestern auf die bedeutendsten Podien der Welt. Sein Repertoire deckt dabei besonders das klassisch-romantische OEuvre ab, vorzugsweise spielt er Werke von Beethoven, Brahms und Schumann in seinen Programmen  - wie seinerzeit Lars Vogt. Für die Aufnahme seiner Beethoven-Klavierkonzerte erhielt er den Gramophone Music Award 2020. Seine neuste Einspielung beim französisch-belgischen Label Alpha-Classics widmet sich Robert und Clara Schumann: Der 42-Jährige kombiniert da Roberts technisch anspruchsvolle Acht Novelletten op.21 (1838) mit dem Spätwerk Gesänge der Frühe op. 133 (1853) sowie mit Claras Soirées Musicales op. 6. Das ergibt eine chronologische biographische Zeitreise vom frischen Aufbruch über die gemeinsame eheliche Inspiration bis hin zu einer letzten glücklichen Phase des Paares in Düsseldorf, die bereits von Abgeklärtheit und nahendem Ende kündet.

Technisch überdurchschnittlich

Die "Acht Novelletten" op. 21 von Robert Schumann fordern alle technisch überdurchschnittlich, was einen Martin Helmchen überhaupt nicht zu tangieren scheint: Mit einer ungekannten Mühelosigkeit und einem selbstbewussten Sturm-und-Drang-Gefühl greift er in die Vollen und gestaltet die Nr. 1 nach seinem Giusto, weil er das mit seiner brillanten Oktaventechnik kann. Das gefällt. Den Klang, den er dem historischen Fortepiano C. Bechstein 1860 (aus der Collection Chris Maene) entlockt, ist nur im allerersten Augenblick etwas gewöhnungsbedürftig - über die lange Strecke gehört, erzeugt er wunderbar lyrische Farben, an die sich das Ohr rasch gewöhnt. Das Zuhören entpuppt sich - auch wegen der wunderbar überbrückten Legatolinien - rasch als Genuss und spätestens in der No. 2 wird klar, dass hier ein wahrer Meister am Klavier sitzt: Das "Äußerst rasch und mit Bravour" zeigt Martin Helmchen in Rage: Hier schnackelt es nur so und die Hände fliegen ihm bei aller Geschwindigkeit nur so über die Tasten. Erst das "Intermezzo" geben dem begnadeten Spieler Zeit für Ruhe und alle Empfindsamkeit, die der Hörer hier als wohltuenden Kontrast spürt. Helmchens Piano singt ausdrucksstark, sein Pedal mischt zart die süßen Klänge, bevor die Musik mit Verve nochmal in das erste Tempo hineingleitet. Das ist sehr große Kunst! 

Des Interpreten heitere Seite entblättert sich im "Leicht und mit Humor", wenn er die Synkopen mit einem Augenzwinkern anschlägt. Fast atemlos hechelt Helmchen durch das Intermezzo "Rasch und wild", stets mit ausgefeiltem, sauberem Pedal und dynamischem Feuerwerk. Ganz besonders edel und geschmackvoll sind die Ritardandi gestaltet: Da zeigt sich sein einstiger Spiritus Rektor Alfred Brendel. Rhythmisch humpelnd - Schumann nennt es "Ballmäßig, sehr munter" (!) - kommt die Nummer 4 daher, die etwas Phantastisches im Mittelteil versprüht. Martin Helmchen kann diese Stimmung minutiös rüberbringen. Aber die Fete geht noch weiter: Rauschend und festlich titelt die Nummer 5, mit rund neun Minuten Spieldauer die zweitlängste im Zyklus. Da spielt der Pianist wie gefordert mit dem kraftvollen Forte und traktiert den Bechstein ordentlich, bevor der ganz lange Orgelpunkt auf dem großen F immerfort die Spannung steigert. Überhaupt hält dieses Stück stets überraschende Harmonien bereit. Die Gesamtkonzeption des Satzes mit manchmal aus der Zeit genommenen Passagen erscheint außerordentlich gelungen. Auch das "Sehr lebhaft, mit vielem Humor" lässt Martin Helmchen in bezaubernd charmanter Manier erschallen, wobei er den typisch romantischen Tonfall Schumanns - mal lieblich-träumend, mal spritzig-knackig im Zugriff - genau trifft. Das macht diese Aufnahme so unwiderstehlich. Der Klang des historischen Flügels tut hier das Übrige zur Sache: Das 163 Jahre alte Instrument klingt immer etwas retuschiert, warm, jedoch niemals hart und bellend oder klingelnd. Das "Äußerst rasch", die Nummer 7, zeigt noch einmal einen aufgeweckten, hochkonzentrierten Pianisten der Spitzenklasse: Wie seine Hände hier ohne Verzögerungen ineinandergreifen, ist schon phänomenal und sein Klavierspiel kann auch wunderschön im Diskant wie im Bass singen, so zu hören im "Etwas langsamer". Da ist der Künstler ganz in seinem Element. Richtig furios wird es noch einmal in der letzten Nummer "Sehr lebhaft", die im emotional aufgewühlten fis-Moll beginnt. Martin Helmchen zieht hier noch einmal alle Register und ihm gelingt alles: Frische aber auch Traurigkeit hört man da raus. Virtuosität ist hier mit großem Ernst verbunden.

Köstlicher Charme

Clara Schumanns drei Miniaturen aus den "Soirées Musicales" op. 6 kommen da leichtfüßiger, salonhafter daher, insbesondere die frühe No. 1 "Toccatina" verpulvert da ihren köstlichen Charme. Auch sie hält Finessen bereit, wiegt aber mit ihren rund zweieinhalb Minuten Spieldauer kaum so schwer wie Roberts ausgewachsene Einheiten. Die No. 2 "Notturno" entstand, als Clara Wieck Frederic Chopin das erste Mal in Paris traf. Unmittelbar durch diesen Meister ist ihr Werk beeinflusst, bis hinein in die Harmonien und den melancholischen Duktus. Auch die "Mazurka. Con moto" No. 25 weist unmittelbar auf den polnischen Künstlerfreund hin: Martin Helmchen hält auch für diese Miniatur den angemessenen Zugriff bereit. Nicht zu schwermütig, nicht zu aufdringlich, aber mit dem angemessenen Stolz gespielt, gelingen ihm diese Stücke vorbildlich. 

Ein Höhepunkt der Neuaufnahme sind die fünf "Gesänge der Frühe" von Robert Schumann, die Martin Helmchen als Meister der Klavierkunst ausweisen. Er versteht hier die Symbiose aus Melancholie und abgeklärter Darstellung, die sich zu überwältigender Emotionalität auftürmen. Besonders die No. 1 Im ruhigen Tempo lassen den Hörer völlig in der Innenwelt versinken, alles Störende der Welt wird hier ausgeklammert, hinfort gespült. In ruhigen Bahnen ziehen die Akkorde dahin und der Klang strahlt wie die Sonne am Abend über dem Meeresspiegel bei Ihrem Untergang. Helmchen vermag da großen Trost zu spenden.


Manuel Stangorra, 11.09.2023

Label: Alpha Classics
Interpretation: 
Klangqualität: 
Repertoirewert: 
Booklet: 




Video der Woche:

Rubinstein spielt Chopin - Etude As-dur op.25 Nr 1

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