Ottavia Maria Maceratini
Ottavia Maria Maceratini übt stete Verwandlung
Von Kühen und Pfützen

Ottavia Maria Maceratini ist 1986 in Italien zur Welt gekommen. Sie zählt zu den vielversprechendsten Pianisten ihrer Generation. Musiker wie Gidon Kremer haben höchste Wertschätzung ausgedrückt. José Serebrier würdigt sie als ?reife Künstlerin mit großer pianistischer Technik?, die ?fähig ist, völlig unterschiedliche Stile in idiomatischster Weise zum Ausdruck zu bringen?. Dabei steht Maceratini erst am Beginn Ihrer Laufbahn. 2010 hat sie ihr Studium bei Elisso Wirssaladze an der Münchner Musikhochschule abgeschlossen. Seither erschließt sie mit ihrem Mentor Christoph Schlüren, einem langjährigen Schüler Sergiu Celibidaches, nicht nur das klassisch-romantische Repertoire, sondern auch solche Kompositionen, die vom Musikbetrieb vernachlässigt werden. Ihre Einspielungen führen Bach und Beethoven, Mozart, Chopin, Schumann und Liszt, aber auch selten gehörte Werke John Foulds? und Heinz Tiessens zusammen. klassik.com-Autor Daniel Krause hat Ottavia Maria Maceratini über Musik und das Musizieren befragt.
Frau Maceratini, können wir über Musik sprechen?
Ja und nein, denn alle erleben, was Musik ist, aber niemand kann es in Worte fassen. Ich selbst bin auf der Suche ? und hoffe, es immer zu bleiben. Zumindest können wir darüber sprechen, was Musik nicht ist: eine Sache. Musik ist ein kontinuierliches Fließen, bewegter Zusammenhang. Beides ist notwendig: Das Element von Zusammenhang und das Element von Veränderung. Sprache kann diese seltsame Ambivalenz nicht wiedergeben, am wenigsten die Sprache der Wissenschaft.
Ist Pop von Übel?
Ich kann gut verstehen, dass Menschen in Diskotheken gehen, um sich zu spüren. Musik kann nicht anders als wirken, sei es, indem sie uns aufwühlt oder beruhigt, gefällt oder nervt. Dass es Klang gibt, nicht nur Geräusch, ist per se eine tröstliche Erfahrung. Das heißt aber nicht, dass alles egal ist. Mozart, Astor Piazzolla, die Beatles oder Keith Jarrett wirken anders als Musik im Kaufhaus. Meine Aufgabe als Musiker besteht darin, Menschen zu im weitesten Sinne mozartischen Erfahrungen einzuladen. Jedenfalls gibt es sogenannte Popmusik, die der Klassik nicht nachsteht, was etwa formale Stringenz betrifft. Durch einen Song der Gruppe King Crimson ? ?Starless? aus dem Album ?Red? (1974) ? habe ich viel über elementare, archaische Bedingungen von Form gelernt, mehr als von den meisten Sinfonien oder Sonaten. Hier gibt es eine meisterhaft aufgebaute, weit ausgreifende Steigerung, die am Ende zur Apotheose des Songthemas zurückführt. Beethoven und Brahms verfahren im Prinzip nicht anders.
Kann man es so formulieren: Musik wirkt körperlich und seelisch, gute Musik fügt der körperlichen und seelischen eine intellektuelle Wirkung hinzu?
Ich würde es anders ausdrücken: Gute Musik verfügt über die Kraft der Verwandlung. Sie ist fähig, uns im wörtlichen Sinn zu ?bewegen?, in unseren emotionalen Routinen und Süchten nicht zu bestätigen, sondern in andere Zonen des Erlebens zu transportieren. Gute Musik bringt uns in Fluss, entfesselt, entknotet, entgrenzt. Sie befreit uns von unseren Fixierungen und Borniertheiten. Gute Musik ähnelt einem frischen, perlenden, fließenden Wasser. Schlechte Musik ist eine emotionale Pfütze, ein stehendes Gewässer, das kippt. Diese Unterscheidung erscheint mir viel wesentlicher als der oberflächliche Gegensatz von Klassik und Pop und ähnliche Kategorisierungen. Gut oder schlecht ist keine Frage von Genre oder Stil, sondern eine Unterscheidung innerhalb davon.
Könnten Sie das Bewegungsmoment guter Musik näher beschreiben?
In der Sonatenform, wie sie vor allem von Beethoven ausformuliert wurde, gibt es zwei gegensätzliche Themenwelten, die immensen Konfliktstoff bergen. In der Exposition werden sie, auch tonartlich, gegeneinander positioniert. In der Durchführung kommt es zur Auseinandersetzung. Meist liegt der maximale Spannungsmoment, also der Höhepunkt, gegen Ende der Durchführung, bevor die Reprise alle Gegensätze, auch in harmonischer Hinsicht, versöhnt und das Geschehen zum Anfang zurückwendet. Diese Dynamik ist im Sonatensatz auf besonders dramatische Weise zu erleben, aber die gleichen Prinzipien gelten in anderen Formen.
Das Gespräch führte Daniel Krause.
(12/2012)