Mihaela Ursuleasa
Die Pianistin Mihaela Ursuleasa über Wunderkinder und Lebenszeit, im Publikum und auf der Bühne
"Das ganze Schachspiel muss stimmen"

Sie ist gerade erst aus Wien eingeflogen, schon gibt Mihaela Ursuleasa am Berliner Alexanderplatz das erste Interview. Irgendwo zwischen diesem, dem nächsten Gesprächstermin und einer Generalprobe am Abend wird sie noch ein wenig Schlafen finden müssen. Am nächsten Abend wird sie das erste Klavierkonzert von Franz Liszt in der Komischen Oper spielen - fulminant und mit Bravour, wie sich nun in der Rückschau sagen lässt. An Energie mangelt es der lebhaften Pianistin nicht, und auch nicht an Routine: Die inzwischen weltweit gefragte Ursuleasa stand bereits als Kind auf der Bühne. Dennoch hat sich die 1978 geborene Rumänin die Zeit genommen, erst jetzt ihre Debüt-CD beim Label Berlin Classics erscheinen zu lassen. Mit klassik.com-Autor Tobias Roth sprach sie über ihre neue CD, Pläne für die Zukunft, und nicht zuletzt über die vielen Chancen und Gefahren, die sich hinter dem Begriff und der Kulturtechnik "Wunderkind" verbergen.
Frau Ursuleasa, man liest momentan viel über den offensichtlich recht ungewöhnlichen Zeitpunkt, zu dem Sie ihre CD veröffentlicht haben. Wie stehen Sie dazu, dass heute die Karrieren scheinbar so schnell gehen müssen und die erste CD möglichst früh kommen soll?
Diese Frage stellen wirklich viele oder fast alle: Warum kommt jetzt erst die CD? Das hat verschiedene Gründe. Ich verließ damals Rumänien mit einem Stipendium, gerade um nicht mehr so viel spielen zu müssen. Es fing eine schnelle Karriere als Kind an: Wunderkind, sehr viele Reisen, Konzerte und so weiter. Das habe ich dann mit elf, zwölf Jahren geändert ? also nicht ich, sondern die Leute, die mir geholfen haben. Es kam damals auch eine CD heraus, zum Clara-Haskil-Wettbewerb 1995. Das ist schon sehr lange her. Nach dem Studium habe ich dann selbst gesagt: Ich will nicht in einer Plastikhülle verkauft werden. Mir kam das damals sehr komisch vor.
Mit 21, 22 wuchs schließlich doch das Gefühl, dass es ein paar Stücke gibt, die ich gerne festhalten würde, weil ich sie sehr, sehr gerne spiele ? fand aber kein Label. Die, die sich gefunden hatten, gingen Pleite oder machten nichts mehr. Das ist das ewige Schallplatten-Thema. Dazu kam auch, dass ich ein Label suchte, mit dem ich wirklich zusammenarbeiten kann, wo Künstler, Produzent, Tonmeister alle einer Meinung sind. Ich wollte nicht zu einem der Labels, wo es heißt: So, jetzt machen wir diese Stücke, das hast du zu spielen, egal, ob du willst oder nicht. Berlin Classics ist so eine Firma, mit der ich arbeiten möchte. Sie haben sich bei mir gemeldet, nachdem sie mich letztes Jahr in Hamburg gehört hatten, und wir konnten gemeinsam reden: vom Programm, über das Cover, bis zu den Booklettexten. Nie hat nur einer gesagt: Da geht?s lang, und aus. Deswegen ist es vielleicht auch eine so bunte CD geworden.
Was ist der Grund, dass viele Künstler heute schon so früh getrieben werden, CDs aufzunehmen?
Ich muss sagen, ich bin dagegen, eine Karriere viel zu früh und viel zu schnell zu machen. Natürlich ist der Anfang sehr expressiv und sehr schön. Es gibt viele sehr junge Künstler, die zwei oder drei CDs im Jahr rausbringen: aber bald hört man nichts mehr von ihnen. Die wenigen, die sich über Wasser halten, tun das nur, weil sie irgendwo eine Intelligenz oder Weisheit haben ? oder jemanden hinter ihnen, der sie weise in die eine oder die andere Richtung führt. Ich habe beide Erfahrungen gemacht. Ich war an der Grenze, wirklich die riesige Karriere zu haben; aber viel zu früh, als zwölfjähriges Kind. Und dann hatte ich das Glück, stoppen und mir Zeit nehmen zu können, um zu studieren, die richtigen Labels und Agenten zu suchen. Das ist immer eine Risikoarbeit. Wenn man mit einem Agenten oder einer Firma zusammenarbeitet, weiß man nie, was wirklich am anderen Ende ist. Das ist das schwierigste an diesem Beruf, gerade heute, wo es unter Pianisten eine riesige Konkurrenz gibt: Irgendwie eine Balance zu halten, dass man nicht zu früh aber auch nicht zu spät handelt. Seit langem fragt man mich jetzt schon: Wann, wann, wann kommt deine CD. Und ich habe bisher immer gesagt: warte, warte. Es muss alles passen, das ganze Schachspiel muss stimmen.
Also ist die Programmgestaltung der CD vollständig das, was Sie gerne spielen wollten?
Ja. Ich habe dieses Programm sehr lang und sehr oft in Recitals gespielt und wollte eben nicht ein typisches CD-Programm mit einem Thema machen. Das wird später kommen. Mit dieser Portrait-CD wollte ich versuchen, dem Zuhörer, soweit es möglich ist, ein Live-Erlebnis geben. Es soll das Gefühl entstehen, dass man wirklich in einem Konzert ist und eine Palette von Beethoven bis Ginastera hört, durch alle Epochen hindurch. Dieses Programm ist eine Reise ? eine ganz lange Reise. Die Beethoven-Variationen (WoO 80) habe ich schon als Kind gespielt, und es hat sich durch die Jahre und das Wachstum unglaublich verändert: Gott sei Dank! (lacht)
Und die abschließende Toccata von Constantinescu ist wie eine Zugabe nach dem Recital?
Ja, aber das Stück ist zugleich eine Vorschau auf die nächste CD. Nächstes Jahr machen wir nur rumänische Musik bzw. Musik, die von rumänischer Folklore inspiriert wurde, Enescu und Bartók. Das ist momentan die Zukunftsplanung.
Das Gespräch führte Tobias Roth.
(10/2009)